Enduro im Piemont, Enduro in Ligurien – das habe ich doch alles schon mal gelesen. Werden hier etwa mangels Content die alten Geschichten nochmal neu aufgewärmt?
Nicht bei uns, denn noch bevor die Welt aufgehört hat sich zu drehen waren wir im Piemont… und Ligurien. Weil beide Regionen ihren ganz eigenen Reiz haben – zwischen hochalpiner Kargheit und satten grünen Hügeln kurz vor dem Mittelmeer.
Nach zwei Jahren ohne große Pannen haben wir vollstes Vertrauen in unseren unzeitgemäßen Fuhrpark und wollen diesmal die große Hafenrundfahrt wagen. Also werden zusätzlich zum Werkzeug auch Zelt, Isomatte und Penntüte eingepackt. Unsere Base ist diesmal oberhalb von Susa, fast an der französischen Grenze und dem Lac du Mont Cenis.
Zwischen Rocciamelone und Mont Malamot
Die Gegend rund um den Stausee mit seiner befahrbaren Staumauer und beeindruckender blauer Färbung wird unser Spielplatz für den ersten Tag. Wir beschäftigen uns mit Luftdruck prüfen, Gepäck verzurren, am Vergaser fummeln und sich wieder an die dicken Stiefel gewöhnen. Am Vergaser fummelt man selbstredend erst sobald auf 2600m Höhe noch ungefähr 0,78 der ursprünglichen 20 PS vorhanden sind und der Vortrieb ein jähes Ende nimmt. Welche Düse war nochmal drin? Hatte ich die nicht schon getauscht? Wo liegt die passende Hauptdüse? Liegt die jetzt wirklich im Auto? Machen wir das eigentlich gerad ezum ersten Mal? Das Fitnessprogramm findet dann halt neben dem Motorrad laufend statt, aber die Aussicht über den See und die angrenzenden Gipfel entlohnt dafür.
Auch am kommenden Tag soll die große Tour noch nicht starten – irgendwie ist es ja doch noch Urlaub und wir haben eine Verabredung mit dem Vermieter des Hauses für die große Gruppe in 2020. Spoiler: Didn’t happen.
Also fahren wir die Assietta Kammstrasse zum Aufwärmen und sind überrascht wie unser Tempo sich in zwei Jahren entwickelt hat. Im ersten Jahr war die Assietta ein ganztägiges Programm – jetzt fahren wir zügiger aber halten vor allem weniger an und sind damit schon mittags beim Vermieter namens Arturo. Er ist übrigens der coolste Typ im Piemont, überrascht uns mit perfektem Englisch, dem Outfit eines Anwalts beim Brunch und zahlreichen Anekdoten zu seinem finanziellen Ruin mit diesem beeindruckenden Haus. Über den Auf- bzw. Umbau könnte man einen ganzen Bericht alleine schreiben, aber das haben die einschlägigen Architekturmagazine schon getan. Wir drücken die Daumen, dass wir in diesem Jahr dort einchecken können.
Nach dem schönen Schnack reiten wir nach Hause und widmen uns der Küche und dem geselligen Verweilen im Grünen. Der Tag vergeht und nach ein paar Getränken und Wettercheck fällt der Entschluss: Frischen Schlüpfer anziehen, Schlafmaterial und Klopapier an das Motorrad schnallen und Wecker für morgen stellen. Früh. Früh genug um trotz morgendlicher Keramikbesuche Einzelner noch angemessen früh im Sattel zu sitzen. Es erwarten uns schließlich zwei Tage der Kategorie „Lederärsche“.
Susa nach Sampeyre
Los geht es bei sehr frischen morgendlichen Temperaturen nach Susa, tanken, über den Colle delle Finestre, dann entlang der Chisone, irgendwo rechts abbiegen und über Schotter über die Berge ins Pellice Tal. Auf den asphaltierten 5km findet sich kaum Zeit zum Verschnaufen bevor es wieder offroad über die Berge zum Po nach Pesana und zur dringend benötigten Tankstelle geht. So langsam werden die Beine weich, die Arme lang, der Horizont verschwimmt und die Fahrfehler häufen sich. Wir sind schon 6 Stunden unterwegs, die ersten sanitären Grenzerfahrungen wurden gemacht und die Äpfel und Müsliriegel aufgegessen. Das Wasser im Camelback schmeckt auch langsam schal, die ersten Befindlichkeiten der Gruppe werden lautstark geäußert und bei Pinkelpausen wird nach Hotels gegoogelt. Es ist klar: Wir brauchen Nahrung, Bier und wenigstens eine Idee wo wir übernachten können. Die nächstbeste Pizzeria ist unsere, der nächstbeste Supermercado verkauft uns Bier und die Recherche hat ergeben: nur noch ein Bergkamm bis zum Campingplatz. Also alles easy, ein letztes Mal den Helm aufsetzen und los.
Jetzt kippt die Stimmung komplett. Über den kleinen Bergkamm führt ein Pfad auf handballgroßem Geröll, Wolken und Nebel ziehen auf, es wird kalt und die Bierflaschen scheppern im Rucksack und ziehen an den geschundenen Schultern. Wir sind auch viel langsamer als geplant und erreichen den Campingplatz an der Varaita nach Toresschluss. Penetrantes Auftreten, wiederholtes klingeln und stures Aussitzen verschaffen uns schlussendlich doch einen Platz auf der taunassen Wiese. Am Bier wird sich heute keiner mehr lange aufhalten. Aufbau der Zelte im Dunkeln, Bier rein schrauben und zackig schlafen gehen. Die Planung sieht für morgen eine noch längere Strecke vor.
Maira Stura, Parpaillon und zurück
Wir stehen wieder mit Sonnenaufgang auf, erwarten geduldig das Ende der Liebesbeziehung zwischen Sanitärbereich und Einzelnen und brechen in Richtung der berühmten Maira Stura Kammstrasse auf. Bis dahin rollen wir gemütlich auf meistens asphaltierten Wegen und erkunden dann die wahnsinnig tolle Landschaft rund um die Maira Stura. Während unserer Mittagspause dort oben stellen wir fest, dass wir doch schneller sein sollten, denn die vor uns liegende Route ist noch lang undwir brauchen dringend eine Abkürzung. Die Suche gestaltet sich langwierig, denn wir sind digital-only und der Empfang ist in der ganzen Region immer gut – außer heute. Wir entscheiden uns für einen hoffentlich durchgängig befahrbaren Weg in der zerklüfteten Landschaft. Er beginnt hinter einem für uns nicht bekannten Schild mit rotem Kreis auf weißem Grund und einer quer über den Weg gespannten Kette. Ab jetzt sind wir Fahrradfahrer und gleiten lautlos den Berg hinab bis wir eine kleine Bauernhütte erspähen. Wir erspähen leider auch menschliches Leben rund um die Hütte. Jetzt bloß nicht erwischen lassen. Der Deal ist militärisch formuliert: tarnen, anschleichen und zügig verschwinden. Zwei von drei schaffen es am Haus vorbei bevor Hund oder Mensch uns stoppen können. Einer von drei stürzt vorher und kann dann doch nur charmant winkend vorbei fahren.
Wir erreichen das Tal ohne weiteren Feindkontakt, beschließen aber trotzdem das zügige Verlassen des italienischen Staatsgebiets. Währenddessen stellt sich eine ausgeprägte Leere in den Tanks ein. Ab dem Colle della Maddalena sind wir wieder lautlos unterwegs, führen lange Autokolonnen an und schaffen erstaunliche 30% mehr Reichweite als üblich bis zur Tankstelle in Jausiers. Der Nachmittag ist schon deutlich angebrochen und wir sind immernoch weit weg von zuhause. Wir peilen den Col du Parpaillon an und erreichen den berühmten Tunnel am späten Nachmittag bei wunderbarem Licht und mutterseelenallein. Wir sind bei jeder Pinkelpause begeistert vom Ausblick, dem Fehlen jeglicher anderer Menschen und dass es wirklich erlaubt ist hier mit dem Motorrad zu fahren. Ab geht es in die Dunkelheit des Tunnels – doch trotz der chinesischen LED-Spots bleibt der Bodenbelag unsichtbar und die Tiefe der Pfützen unklar. Das Panorama bei der Ausfahrt am Nordportal erschlägt uns. Wir saugen die Eindrücke kurz ein und begeben uns auf die Abfahrt Richtung des Flusses Durance. Nach wenigen Kilometern werden wir gestoppt. Rinder stehen auf dem Weg und machen keine Anstalten sich zu bewegen. Und die Rinder haben Hörner und Eier. Uns Stadtmenschen kommt das alles nicht richtig schlau vor, aber wir müssen vorbei fahren. Bis wir endlich an der Durance ankommen, ist es früher Abend und wir tauschen den letzten geplanten Offroad-Ausflug durch die Skigebiete gegen einen Rest Tageslicht auf dem Heimweg und fahren die zwei Stunden auf der Straße nach Hause. Es wird dunkel und empfindlich kalt in den höheren Lagen. Beim letzten Tankstopp wird beschlossen, dass am kommenden Tag die Krümmer kalt bleiben werden.
Jafferau und Lac du Mont Cenis
Die verbleibenden Tage nutzen wir für eine Tour durch den wiedereröffneten Tunnel hoch zum Forte Jafferau bei Hochnebel. Auf dem Rückweg können wir noch eine große Yamaha auf der Skipiste bergen. Danach wissen wir umso mehr unser leichtes Material zu schätzen – besonders da die Yamaha trotz dickem Motorschutz ihre Ölwanne entleert hat. Wir treffen noch andere Enduristen und lassen uns erzählen an welchen gesperrten Strecken die Forstbehörde und Polizei dieses Jahr lauert und wie die aktuellen Strafen ausfallen. Glücklicherweise gibt es genug legale Strecken, aber der Status ist teilweise unklar. Nur weil kein Verbotsschild steht bedeutet es nicht zwangsweise, dass gefahren werden darf.
Das Fazit ist immer das gleiche: das veraltete Material enttäuscht nicht, die Ausblicke sind großartig und hoffentlich können wir bald wieder hin. Munter bleiben und nochmal alles in bewegten Bildern anschauen.
Ciao!
Leave a Reply