Mein Telefon klingelt, die Hände sind dreckig, die Hose noch Sauber und die Mutter findet unten links im Schatten des Rahmens nicht ihren Platz am Bremslichtschalter und wird gleich herunterfallen. Hoffentlich ist es wichtig. Einer meiner Leidgenossen ist am anderen Ende und schildert mir mit folgenden Worten seine Idee: „Glemseck und so ist cool aber mir sind da zu viele Schwätzer die dir eine Stunde erzählen wie sie ihre neuen Blinker angebaut haben. Das interessiert mich nicht. Ich will fahren gehen mit Jungs die jede Schraube an ihrem Moped mehr als einmal in der Hand hatten“. Ich bin gerührt und frage mich zeitgleich wo ich in meinem Leben falsch abgebogen bin. Die zahllosen Stunden in der Werkstatt haben mich doch immerhin in einen elitären Zirkel bestehend aus ganzen vier (in Zahlen 4!) Mann gebracht. Ob sich das wohl gelohnt hat. Auf jeden Fall stimme ich zu, packe mein Werkzeug und prüfe den Luftdruck. Vier Tage Frankreich stehen an – ob der selber zusammengepfriemelte Kram das wohl packen wird?
Beim Kaffee am Treffpunkt wird unser geteiltes Elend sofort offensichtlich. Ich hab den ganzen Werkzeugschrank dabei, einer möchte aufgrund der Öltemperaturen nicht die Autobahn nutzen und einer möchte alle bekannten Routen durch den Schwarzwald meiden. Nicht wegen Rentnern auf Ausflug, nicht wegen zu vielen anderen Motorradfahrern – nein ganz schlicht weil jedes unserer Bikes keine Polizeikontrolle bestehen würde. Also geht es zackig durch den Schwarzwald Richtung Frankreich. Und auch der Teilnehmer ohne Werkzeug, mit komfortabler Öltemperatur und allen Eintragungen und zückt jetzt den Joker. Erst nach 100 Kilometern wird das Komfort-Gelkissen auf die asketische Sitzbank geschnallt. Die Chance von Bekannten mit solchem Zubehör erwischt zu werden ist kurz vor dem Rhein gering.
Es geht über den Rhein mit Zielrichtung Colmar. Es ist später Nachmittag aber es kribbelt doch noch einen oder zwei Pässe zu fahren. Der Col de la Schlucht geht fix hoch und auch wieder runter und genauso fix stehen wir vor dem ersten Hotel und bekommen … kein Zimmer.
Es ist nach 6 am Abend und wir haben natürlich nichts vorgebucht. Bei uns setzt die Erkenntnis ein, dass wir an einem Feiertagswochenende im Frühjahr damit hätten rechnen können. Nach zahlreichen weiteren Absagen folgen wir einem verwitterten Schild zu einem Hotel. Die Kompromissbereitschaft ist mittlerweile deutlich gestiegen. Die knartschende Tür geht auf, hängt schief in den Angeln aber lässt sich sogar wieder schließen. Durch einen kleinen Flur geht es in die Gaststube. Nächste Tür schwingt auf und genau gegenüber sitzt er – Gast Nummer 1, der einzige, mit offenem Mund und Kopf im Nacken schlafend, vor einem einsamen halbvollen Bier. Er sieht aus, als ob ihm das öfter passiert. Ist er der Bürgermeister? Ich weiß nicht ob ich mein Grinsen noch verstecken kann. Das Hotelteam hinter der Bar hat ein Durchschnittsalter höher als das Tempolimit auf Frankreichs Landstraßen. Und die Einrichtung haben die Ladies als Mitgift bekommen. Aber … sie haben Zimmer frei. Richtig günstig und mit Frühstück. Die frohe Kunde und das Ambiente werden den Mitreisenden kundgetan und nach dem eintreten bestätigt mit „geil – sowas findeste nicht wenn du danach suchst“. Es gibt saubere Zimmer die nicht direkt überquellen mit Features – schließlich gibt es auf halber Treppe das Fernsehzimmer.
In Orschwihr checken wir auf dem Dorfplatz im erstbesten Restaurant ein und hauen uns den Bauch voll. Pastis, Bier und Schnaps gibt es in der lokalen Kneipe auf dem Heimweg. Wir beschließen morgen weiter Richtung Norden zu fahren und unser Glück mit den Unterkünften früher am Nachmittag zu probieren. Mit einem kleinen Brausekopf geht es morgens auf den Spielplatz Hautes Vosges. Auf dem Plan stehen Grand Ballon, Markstein, Col de Hahnenbrunnen, Bussang und einigem mehr. Leider sind die Straßen und Aussichtsstops überfüllt mit Klapphelmen, Goretex, Griffheizungen, Kurven-ABS und Gepäcklösungen. Wir biegen in den Schotterweg ein, finden eine kleine Hütte mit hervorragender Brotzeit und stellen fest, dass wir wohl nicht mehr weit kommen werden und auch nicht wirklich weit weg gekommen sind von unserem charmanten Hotel.
Wir gestalten uns das Leben also einfach und fahren wieder zu unseren Ladies und dem erprobten Abendprogramm mit Escargots, Pastis und Weiterem. Beim Essen kann man im Elsass nichts falsch machen – einfach alles besser als auf der unsrigen Seite des Rheins. Wir sind einigermaßen ausgeschlafen und müssen nun wirklich mal nach Norden zielen. Und das klappt hervorragend bis der Hunger kommt. Rechts ran an der nächsten Hütte und viele Fragezeichen im Kopf. Warum stehen hier die BMW’s von diversen Customizern, viele Münchner und Stuttgarter Kennzeichen, wenig Gepäck. Das selbsternannte who is who der Szene, viel Glemseckprominez, viel heiße Luft und ein Van der das Gepäck zum Hotel mit Pool liefert. So schnell war unser Hunger noch nie gestillt und eine Hütte später gibt’s auch ne kalte Fanta.
Es ist mittlerweile brüllend heiß, die Nichtfunktionskleidung klebt auf der Haut und an manchen Stellen rinnt es einfach. Unsere Geduld geht irgendwo bei Straßburg zu Ende und die Autobahn ist nah. Schauen wir mal ab welcher Öltemperatur wir keinen Öldruck mehr haben. Zwei BMW R’s und eine SR500+ fliegen über die A8. Fliegen bedeutet natürlich primär zu vermeiden irgendeinem Vertreter-Audi in den Weg zu kommen – also rechte Spur, schwitzen, vibrierende Spiegel und ein Auge auf der Öldrucklampe. Immer noch besser als an jedem Kreisverkehr des Nordschwarzwalds dahin zu schmelzen bis silbrig-graue Masse an Leasingdaimlers durchgezogen ist. Angekommen in Stuttgart reißen wir Bier auf und freuen uns. 1200km, kein Defekt, keine Probleme, einfach fahren. Vielleicht lohnt sich das Schrauben ja doch?!
Bilder: Mic, Micha, Alex
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