Wir haben es wieder einmal falsch gemacht. Man entdeckt seine neue Lieblingsbeschäftigung und fängt nicht klein an. Man lässt keinen Raum dafür sich jedes Jahr ein bisschen zu steigern. Nein, man fängt gleich ganz oben an – auf den höchsten Gipfeln der Alpen. Was macht man dann im folgenden Jahr? Die B-Seiten. Die sind weniger hoch, vielleicht weniger anspruchsvoll und rein geographisch südlich des Piemonts gelegen. Auf geht’s Richtung der berühmten ligurischen Grenzkammstraße.
Wir nahmen wieder die Autos mit Anhänger und fuhren diesmal nach Tende. Wesentlich schneller und koordinierter haben wir dieses Mal das Verladen gemeistert. Das Gepäck ist auch deutlich schmaler geworden da wir vorher mal drüber gesprochen haben, wer welchen Schraubenzieher mitbringt und dadurch die Anzahl anwesender Drehmomentschlüssel von sechs auf einen einzigen reduziert. Niemand hat Ersatzmotoren oder gar Fahrräder dabei gehabt, da sich nach der ersten Reise und 500 Kilometern Piste ein inniges Vertrauensverhältnis zu den Maschinen eingestellt hat. Die Motorräder sind perfekt vorbereitet, kleine Mängel behoben, der Kraftstoffvorrat erhöht und leichtes Gepäck kann mitgenommen werden. Die 600er XL erlebt Ihren jährlichen ersten Umkipper wie jedes Jahr in der heimischen Garage.
Es ist wieder eine lange Nacht geworden durch die Schweiz mit ihrem absurden Tempolimit für Gespanne. Dafür erleichtert das milde Wetter die Schlafpause zur Einhaltung der Lenkzeiten und sorgt für Erstaunen bei anderen verlorenen Seelen, die nachts um vier im Schein ihrer Zigaretten um geparkte Autos schleichen.
Angekommen im Roya-Tal gehen wir diese B-Seiten erstmal weniger sportlich an und kümmern uns um unseren Urlaub. Und was hätte ein besserer Start in den Urlaub sein können als ein frischer Espresso und … na klar! … Schnaps um 10 Uhr morgens serviert vom Hippie-King – dem Vermieter unserer romantischen Gartenlaube. Das witzige dabei war, dass der Hippie-King nicht mittrinkt. Trocken sei er uns widme sich ausschließlich seinem Handwerk und die Farm auf der wir uns befinden hat er auch verkauft an eine junge Familie und er darf hier noch wohnen. Den Verlust der Farm kommentierte er mit „Die haben jetzt die Arbeit“ und unser Hippie-King sitzt in der Sonne, zwirbelt seinen Bart und schnitzt seine Pfeifen. Es war sonnig und wunderbar grün während zuhause schon alles in spätsommerlich verbranntem Graugrün brach liegt. Schon am ersten Nachmittag wurde uns klar woher die schöne grüne Farbe kommt. Es regnete einmal am Tag kurz und ergiebig bevor wieder die Sonne schien – willkommen in den französischen Tropen. Eine großzügige Kiste Pastis sollte uns die kommenden Tage durch diese nassen Stunden begleiten.
Genug Urlaub, Moped fahren. Der erste Tag wurde wieder zum Fahrer- und Materialcheck verwendet und dann sollte es auf zur ligurischen Grenzkammstrasse (LGKS) gehen. Wichtig wäre hierbei gewesen zu wissen wann man sie überhaupt befahren darf und dann auch rechtzeitig an der Mautstation zu sein. An mehreren Tagen in der Woche ist sie für Motorkraft gesperrt. Die Strecke selber teilt sich in einen nördlichen (mit Maut) und einen südlichen (ohne Maut) Teil. Beides an einem Tag anzugreifen ist ein recht sportliches Unterfangen. Der nördliche Teil ist landschaftlich äußerst beeindruckend und fahrerisch vollkommen machbar. Bei den Meisten wird das wohl eher ein langer Fotoausflug als die Paris-Dakar. So war es auch bei uns. Während wir uns bisher gegenseitig selber die Heldennadeln angesteckt haben für das Bezwingen der Gipfel lauerte hinter der nächsten Kurve unser ganz persönlicher Aufschlag in der Realität – der eine Typ, der auf noch viel ungeeigneterem Gerät unterwegs war:
Mit geknicktem Stolz ziehen wir Minitatur-Enduristen von dannen. Wir lassen uns trotzdem von den Ausblicken auf die Landschaft verwöhnen und suchen uns die anspruchsvolleren oder gesperrten Strecken. Ein paar Tage später erkämpften wir uns auch den südlichen Teil der LGKS bei klassischem Wurstwetter. Und wir wollten auch endlich ein fehlendes Puzzlestück des Bullshit-Hipster-Bike-Video-Puzzles einfügen. „Fiddling with the idle screw“. Auf den hohen Bergen im Piemont war eine Düsengröße und eine Nut magerer der Schlüssel zu einigermaßen gleichmäßiger Leistung von Talsohle bis Gipfel. Hier waren wir unten fast auf Meereshöhe und oben gar nicht so hoch – also Leistung satt und Klemmer riskieren? Das Gefummel bescherte uns mehrfache und längere Stopps bei oben genannten Wurstwetter. Die Kiste lief bei vollem Anschlag ganz ok, Leerlauf und Dosierbarkeit sind irgendwie verloren gegangen. Sprit war da, Funke war da und nirgends kamen Betriebsmittel raus. Merkwürdig. Beim letzten Stopp wurde es offensichtlich – die Nadeldüse hatte ihren Weg in eine falsche Bohrung gefunden – die wunderbare Welt der Mechanik!
Wieder voll fahrbereit ging es ein kurzes Stück auf Straßen zum Mittagessen auf einer Alm um dann noch ganz kurz das Stück fertig zu fahren und nach Hause zurück zu kehren. Dieses kurze Stück zum fertig fahren erwies sich als echter Techniklehrgang. Aus dem Wald mit Trails über nasse Wurzeln und durch den Matsch ging es plötzlich in die Sonne und dann steile Rampen bergab mit Geröll. Handballgroßes Geröll auf 1,5 Meter Breite und ordentlich Abgrund links und rechts. Schritttempo, Arschbacken zusammenkneifen und einfach das Gestöhne und die Flüche der Mitreisenden ignorieren brachte uns auch durch diese Passage.
Dieser südliche Teil der LGKS hielt noch mehr Überraschungen für uns bereit. Der Reihe nach: Schieben ohne Sprit auf den letzten Gipfel des Tages. Lenker auf Asphalt verbiegen wegen Fiat 500 in enger Serpentine und Tagträumerein. Dann folgte noch die Teamaufgabe des Tages: Tankstellen sind auf Google aber nicht in der Realität zu finden und die Nerven der Gruppe liegen blank. Mit unseren letzten Tropfen entschieden wir uns von Ventimiglia Richtung Frankreich zurück zu fahren nur um auf diesen Kilometern die Achterbahn der kraftstoffsüchtigen Gefühle durchleben zu dürfen. Bis zur Tankstelle waren es 18 Kilometer. Nach den ersten drei davon standen wir vor einer Ampel, vor einem Tunnel mit einer Baustelle. Motor aus und in geschliffener Hand-Fuß-Gasolina?-Kombination fragten wir andere Motorradfahrer nach der nächsten Quelle für unser Fortbewegungselixier. Nichts. Die Ampel wurde grün, wir kickten und fuhren auf unseren letzten Tropfen los – bergauf und einspurig ohne Seitenstreifen. Der Tunnel gestaltete sich deutlich länger als erwartet und die rechte Hand versuchte den Trade-off zwischen stehen bleiben und Stauanführer herauszufinden. Vier Kilometer später gab es endlich Tageslicht und einen Seitenstreifen. Es ging weiter bergauf rund um ein paar Spitzkehren und wir lauschten unter den Tank, ob die Motoren schon Aussetzer haben. Weitere vier Kilometer später verdichten sich die Mannschaftswagen der Gendarmerie und mit ihnen die Anzahl der Schusswaffen. Jetzt galt nicht auffallen, nicht anhalten sondern bitte einfach nur durch fahren und die Tankstelle finden. Unser aller Französisch reichte zum Baguette und Pastis bestellen aber nicht für Smalltalk mit Grenzern. Noch zehn Kilometer nach der Grenze erwarteten wir sekündlich, dass einer von uns stehen bleibt – wie ein Chamäleon hatten wir ein Auge auf der Ideallinie, eines im Rückspiegel beim Kumpel und die rechte Hand klammert sich ins Griffgummi. Tankstelle in Sicht! Wir haben es nicht gemessen, aber noch fünf Kilometer hätten wir nicht geschafft. Die Vergrößerung des Kraftstoffvorrats wird das Thema des Abends beim Pastis.
Zum Ende der Woche sind es wieder mehr als 700 Kilometer, die wir abgekämpft haben. Wir haben Spots gefunden zu denen wir alle zurückkehren wollen. Wir haben das Meer gesehen, uns mit Pferden angefreundet und leckerstes Gemüse auf unserer Farm gegessen. Ligurien ist definitiv keine B-Seite.
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